In diesem Artikel beschäftige ich mich mit einer verblassten Parole, die wahrscheinlich gegen Kriegsende, als das viel zu späte Ende des Dritten Reichs endlich näherrückte, an der Fassade eines Operationsbunkers aufgetragen wurde. In diesen letzten Tagen des NS-Regimes versuchten jene Teile der Zivilbevölkerung, die nach wie vor von der Idee des Nationalsozialismus überzeugt waren, die Mitmenschen zum Durchhalten und Weiterkämpfen zu überzeugen. Der Spruch „Sieg oder Tod“ bedeutete nicht nur für die Soldaten, lieber im Kampf mit dem Feind zu fallen als sich zu ergeben. Er wurde auch synonym als Durchhalteparole für die Zivilbevölkerung verwendet.
Die Herkunft der Parole
Der Spruch „Sieg oder Tod“ war keine Erfindung des Dritten Reichs. Schon als die Habsburgermonarchie 1866 Krieg gegen Preußen und dessen Verbündeten Italien führte, ist die Parole in Theodor Fontanes Reisebriefen überliefert:
„Mehr als einmal hatte, in dem ungleichen Kampfe, die Kraft die Unsrigen zu verlassen gedroht, aber mit dem lauten Gebet ‚Vater hilf, keine Schande, Sieg oder Tod‘, waren sie endlich, während der Hauptmann, Freiherr von Kayserlingk, die Fahne des Bataillons ergriff, unter dem Schlagen aller Tambours zum Siege vorgedrungen.“1
Da es bis heute ein beliebtes Mittel führender Militärs und Politiker ist, an das Ehrgefühl der Soldaten zu appellieren, damit selbige eifriger ins Feuer laufen, kam der Begriff nicht aus der Mode. So stand der Spruch zwischen 1914 und 1918 als Kappenabzeichen der kaiserlich-königlichen Truppen in Verwendung, etwa in Form von „Sieg oder Tod im Alpenrot“, das auch als Marsch vertont wurde.
Dass diese militärhistorische Dauerparole auch im Nationalsozialismus ganz hervorragend im Sinne der radikal-fanatischen Propaganda eingesetzt werden konnte, ist naheliegend. Dennoch gab es einen besonderen Anlass, der in einem Funkspruch an Erwin Rommel überliefert wurde. Als dieser in Nordafrika angesichts der durch fehlenden Nachschub geschwächten Truppen den Rückzug antreten wollte, funkte man ihm am 3. November 1942 – in Unkenntnis Rommels letzten Lageberichts – folgende Durchsage Adolf Hitlers:
„Mit mir verfolgt das deutsche Volk in gläubigem Vertrauen auf Ihre Führerpersönlichkeit und auf die Tapferkeit der Ihnen unterstellten deutsch-italienischen Truppen den heldenhaften Abwehrkampf in Ägypten. In der Lage, in der Sie sich befinden, kann es keinen anderen Gedanken geben als auszuharren, keinen Schritt zu weichen und jede Watte und jeden Kämpfer, die noch freigemacht werden können, in die Schlacht zu werfen. Beträchtliche Verstärkungen an fliegenden Verbänden werden in diesen Tagen dem Oberbefehlshaber Süd zugeführt werden. Auch der Duce und das Commando Supremo werden die äußersten Anstrengungen unternehmen, um Ihnen die Mittel zur Fortführung des Kampfes zuzuführen, Trotz seiner Überlegenheit wird auch der Feind am Ende seiner Kraft sein. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, daß der stärkere Wille über die stärkeren Bataillone des Feindes triumphierte. Ihrer Truppe aber können Sie keinen anderen Weg zeigen als den zum Siege oder zum Tode.“2
Erst als Rommel sich mit seinen Truppen nach schweren Verlusten trotz des obigen Befehls zurückzog, berücksichtigte Hitler die militärische Lage und segnete den Rückzug ab.
Die Parole kam aber nicht nur in Deutschland zur Anwendung, auch Stalin setzte sie im Herbst 1942 auf Flugblättern ein, die an die sowjetische Jugend gerichtet waren:
„Sieg oder Tod! Willst Du den Sieg – töte den Deutschen“3
Auch in Joseph Goebbels‘ Tagebüchern ist im Eintrag vom 1. August 1942 ein Hinweis auf die Verbreitung dieser Parole in der Roten Armee zu entdecken:
„Wie schon betont, setzen [die Engländer] nun ihre entscheidenden Hoffnungen auf den Befehl Stalins an die sowjetischen Truppen, keinen Schritt weiter zurückzuweichen. Der Befehl Stalins wird durch einen neuen massiven Aufruf im ‚Roten Stern‘ ergänzt. In diesem Aufruf lautet die Parole: ‚Sieg oder Tod!‘ Die Engländer nehmen diese Parole auf, allerdings nur für die Bolschewisten.“4
Die Bedeutung der Parole „Sieg oder Tod“ im deutschen Militär
Schon bei der Vereidigung der Soldaten schworen sie, gegebenenfalls ihr Leben in gehorsamer Pflichterfüllung zu geben:
„Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“5
Auch in der Heeresdienstvorschrift 2 wird dem Soldaten nahegelegt, lieber zu sterben als sich zu ergeben:
„Von jedem deutschen Soldaten wird erwartet, daß er den Tod im Kampf mit der Waffe in der Hand der Gefangenschaft vorzieht. Doch kann in den Wechselfällen des Kampfes auch der Tapferste das Unglück haben, lebend in Feindeshand zu fallen.“6
In den ersten Kriegsjahren entfaltete sich die Konsequenz dieser radikalen Selbstopferungsvorschriften nur selten. Selbst die militärische Führung betrachtete die „Sieg oder Tod“- und „Kampf bis zur letzten Patrone“-Parolen nur als sinngemäße Ausrichtung in der Geisteshaltung der Soldaten.
Nachdem die Wehrmacht Ende November 1941 in ihrem Vormarsch beinahe Moskau erreicht hatte, begann unter dem Druck der Roten Armee der dreieinhalbjährige Rückzug bis nach Deutschland. Damit verschärfte sich auch die Sichtweise der Befehlshaber, die von der sinngemäßen Interpretation zur tatsächlichen Durchführung schwenkten.
Hier bestanden die größten Unterschiede wohl zwischen der Wehrmacht und der Waffen-SS. Nahm Letztere den Befehl, sich bis zur letzten Patrone zu verteidigen oft wörtlich, kapitulierten Wehrmachtseinheiten meist dann, wenn es aus militärischer Sicht keinen Sinn mehr ergab, den Kampf weiterzuführen, auch wenn es in deren Köpfen durchaus getreu des Eides die Vorstellung gab, ihr Leben zu opfern, wenn es militärisch sinnvoll erschien.
Der Wille sich zu ergeben, war auch davon abhängig, an welcher Front die jeweilige Einheit kämpfte. Im Westen ergaben sich Soldaten dank der guten Behandlung von Gefangenen in Lagern der Westalliierten leichter. Truppen, die im Osten kämpften, hatten allerdings dank der nationalsozialistischen Propaganda das Bild des mordenden primitiven Russen im Kopf, in dessen Gewalt sie keine Stunde überleben würden.
Ein weiterer Unterschied im Sieg-oder-Tod-Empfinden lag im Dienstgrad. Vor allem waren es Militärangehörige höherer Dienstgrade, die diese Vorstellung fest in ihrem Ehrenkodex eingebunden hatten und sich deshalb nicht oder nur unter schwersten Bedenken dem Gegner ergeben konnten. Oft machten sie sich in der Gefangenschaft Vorwürfe – nicht jedoch wegen der Tatsache kapituliert zu haben, sondern weil sie als gute Offiziere gemäß ihrer kampfmoralischen Polung eigentlich nicht lebend in Gefangenschaft hätten gehen dürfen.
Soldaten unterhalb der Offiiziersränge verfügten meist nicht über ein derart enges an militärische Normen geheftetes Wertesystem. Erkannten sie keinen Sinn mehr darin, Gegenwehr zu leisten oder einen Ausbruchsversuch zu wagen, wenn sie eingekesselt waren, dann neigten sie eher dazu, die Waffen zu strecken, auch wenn noch Patronen übrig waren. Überliefert ist hier etwa recht anschaulich der Wortlaut des Unteroffiziers Oberfeldwebel Renner vom Luftnachrichtenregiment 7, als er von den Kämpfen um Cherbourg im Juni 1944 sprach, in deren Zuge er 282 Soldaten das Leben rettete, indem er sie in die Gefangenschaft führte, während sich der befehlshabende Offizier in einem Bunker verbarg:
„Wir hätten uns noch mindestens drei oder sogar fünf Tage halten können. Aber ich habe nach der Möglichkeit getrachtet, das zu verhindern. […] Ich habe mich trotz des Trommelfeuers vor den Bunker gestellt und fing an zu reden: ‚Wollt ihr jetzt da draußen sterben für einen sinnlosen Kampf, wo es nicht mehr weitergeht? Kommt, wir gehen hinaus.‘ Unter diesen etwa zweihundert Personen waren vielleicht – die anderen haben nichts gesagt – zehn Gegner, die gesagt haben: ‚Das kann man sich nicht bieten lassen, das geht nicht! Wir haben den Kampf bis zur letzten Patrone zu führen!‘ Da habe ich dann gesagt: ‚Was heißt letzte Patrone? Sie schießen den letzten Schuss aus und der Feind feuert dann rüber und dann sind Sie tot!‘ Da sagt der: ‚Dann sind wir eben den Heldentod für die Heimat gestorben!‘ Da habe ich gesagt: ‚Da hast du ja nichts davon, du blöder Hund, wenn du da stirbst und deine Frau leidet zu Hause!‘ Da haben die anderen gesagt: ‚Nein, nicht, da will ich vorher raus.‘ Es gelang mir, die Leute zu bekehren. Ich habe gefragt: ‚Wer geht mit?‘ Da haben sich zuerst zwei gemeldet und kurz darauf, in einem Nu, waren es fünfundzwanzig bis dreißig Mann gewesen. Da bin ich vorne weg mit der Fahne und habe gewunken hin und her, und bin direkt dem großen Trommelfeuer entgegengegangen.“7
Ausschlaggebend für die Entscheidung Soldaten sinnlos sterben zu lassen oder ihr Überleben durch Gefangennahme zu sichern, waren – wie das obige Beispiel zeigt – mehrere Faktoren: Befehligte sie ein linientreuer Offizier, so standen ihre Chancen lebend aus der Situation herauszukommen schlecht. Ebenso spielte aber auch die Gruppendynamik in der Einheit eine Rolle. Weitere Faktoren waren die militärische Lage und die persönliche Einstellung des Soldaten, so er noch eine hatte.
Obwohl der Druck, den die obersten Offiziere und Hitler selbst an die Truppen weitergaben, ab Ende 1941 kontinuierlich stieg, fällten die meisten Offiziere im Kampfeinsatz weiterhin Entscheidungen, die sich an der militärischen Lage der jeweiligen Einheit orientierte. Erkannten sie einen Sinn in der Fortsetzung des Kampfes, so führten sie ihn. Bestand das Weiterkämpfen jedoch nur noch im sinn- und zwecklosen Verheizen der Soldaten ohne ein militärisches Ziel erreichen zu können, so ergaben sie sich.
Hitler hatte sich spätestens bis 1943 aber völlig von diesem Grundsatz gelöst. Für ihn galt es seit der Winterkrise 1941 bei Moskau als bewiesen, dass der bloße Wille ausreichend sei, um selbst übermächtige Gegner in die Knie zu zwingen, was sich in dem weiter oben bereits zitierten Funkspruch an Rommel zeigte:
„Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, daß der stärkere Wille über die stärkeren Bataillone des Feindes triumphierte.“
Er forderte bedingunglosen fanatischen Kampf bis zur letzten Patrone, vor allem wenn militärisch viel auf dem Spiel stand. In solchen Situationen beharrte er ohne Wenn und Aber auf der Durchsetzung seiner Befehle – Sieg oder Tod.
Oft jedoch ließ sich die Kommunikation, die zwischen den Führungsstäben und der Kampftruppe lag, als verbales Säbelrasseln deklarieren. Funkte ein befehlshabender Offizier an das weit entfernte Hauptquartier, er würde aushalten bis zum letzten Mann und keinen Fußbreit weichen, so konnte er sicher sein, in der Gunst der Führung keine Einbußen zu erleiden. In der Wirklichkeit wurde dann nicht so heiß gegessen wie gekocht und die Soldaten gingen in Gefangenschaft ehe der letzte Schuss abgefeuert worden war. Manchen Offizieren dienten solche per Funkspruch durchgegebenen Heldenstücke sogar als Karrieresprungbrett, da in deren Folge oft eine Beförderung gegenüber dem jeweiligen Offizier ausgesprochen wurde.
Erst als sich der Krieg schon fast zu seinem Ende neigte, geriet das heldenhafte Siegen oder Sterben ins Bröckeln. Nach der Ardennenoffensive war wohl selbst dem letzten Soldaten klargeworden, dass Deutschland diesen selbst angezettelten Krieg nicht gewinnen wird. Auch der Führermythos verblasste und manche Soldaten traten in einen „Streik“, wie General Rothkirch im März 1945 berichtete:
„Sie sitzen eben alle da, wenn die Amerikaner kommen, und tun nichts.“8
In diesen letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges verabschiedeten sich auch höhere Offiziere von der radikalen Kampfmoral. Generalleutnant Ferdinand Heim sagte im März 1945:
„Ich habe es früher immer für falsch gehalten, die Waffen zu strecken, es hätte einen schweren Knacks in unserem Volk gegeben, der sich vielleicht zukünftig ganz unheilvoll ausgewirkt hätte. Aber jetzt, jetzt muss Schluss sein, es ist ja einfach ein Wahnsinn.“9
Diese Parole war an einem Operationsbunker des Kaiserin-Elisabeth-Spitals in Wien aufgetragen worden, wo sich auch die bereits besprochene Durchhalteparole „Trotz Terror: Kampf bis zum Sieg“ befand. 2014 wurden sie nach Abnahme der an der Bunkerfassade montierten Werbeflächen sichtbar. Darauf folgte der Abriss des Bunkers, der bis Anfang 2015 abgeschlossen war.
Möchtest Du Dich erkenntlich zeigen? Hier hast Du die Möglichkeit dazu.
Fußnoten:
1 Theodor Fontane, Reisebriefe vom Kriegsschauplatz. Böhmen 1866 (Hamburg 2012), S. 51, online unter:
https://books.google.at/books?id=vFe1uXQ_1iAC&pg=PA51#v=onepage&q&f=false (6. September 2020)
2 Artikel „Kein anderer Weg als Sieg oder Tod“, Der Spiegel, 30. Oktober 1967, online unter:
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46185324.html (6. September 2020)
3 Bogdan Musial, Stalins Beutezug. Die Plünderung Deutschlands und der Aufstieg der Sowjetunion zur Weltmacht (München 2010), Textauszug online unter:
https://www.perlentaucher.de/vorgeblaettert/leseprobe-zu-bogdan-musial-stalins-beutezug-teil-1.html (7. September 2020)
4 Elke Fröhlich (Hg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II Diktate 1941–1945, Bd. 5 Juli–September 1942 (München 1995), S. 225, online unter:
https://books.google.at/books?id=8X9dDwAAQBAJ&pg=PA225&lpg=PA225#v=onepage&q&f=false (7. September 2020)
5 Zitiert nach: Sönke Neitzel, Harald Welzer, Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben (3. Auflage, Frankfurt am Main Juli 2017), S. 468, Endnote 674.
6 Zitiert nach Neitzel, Welzer, Soldaten, S. 307.
7 Zitiert nach Neitzel, Welzer, Soldaten, S. 311f.
8 Zitiert nach Neitzel, Welzer, Soldaten, S. 318.
9 Zitiert nach Neitzel, Welzer, Soldaten, S. 319.
Interner Link:
Mehr zu den Jahren von 1939 bis Kriegsende:
1939 bis Kriegsende
Der ehemalige OP-Bunker vom Kaiserin (nicht Sankt) Elisabeth Spitals im Wien XV., an der Felberstraße
Hoppla, danke für den Hinweis!