Dieser Artikel wurde am 26. Juli 2020 überarbeitet.
Das heutige Bild zeigt ein Motiv aus der kurzen Phase des austrofaschistischen Ständestaats, dessen Grundstein durch Engelbert Dollfuß im März 1933 durch die fälschlich so genannte „Selbstausschaltung des Parlaments“ gesetzt wurde. Möglicherweise lautete seine Intention, auf diese Weise dem Nationalsozialismus in Österreich das Wasser abzugraben. De facto war jedoch der Volkswille ausgeschaltet – eine Diktatur kam einer Diktatur zuvor. Dollfuß regierte nach dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz von 1917 ohne Parlament.
Kirche und Staat
Am 11. September 1933 legte der Bundeskanzler in der Trabrennplatzrede dar, welchen Weg er ab nun beschreiten wolle:
„Die Zeit des kapitalistischen Systems, die Zeit kapitalistisch-liberalistischer Wirtschaftsordnung ist vorüber, die Zeit marxistischer, materialistischer Volksverführung ist gewesen! Die Zeit der Parteienherrschaft ist vorbei! Wir lehnen Gleichschalterei und Terror ab, wir wollen den sozialen, christlichen, deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage, unter starker, autoritärer Führung! Autorität heißt nicht Willkür, Autorität heißt geordnete Macht, heißt Führung durch verantwortungsbewusste, selbstlose, opferbereite Männer.“1
Die Bindung an die katholische Kirche war eng und so nahmen am 22. Dezember 1933 die Bischöfe Österreichs Stellung zu den Absichten der Regierung:
„In diesem Sinne und Geiste begrüßen wir Bischöfe von Herzen und mit dankbarer Anerkennung den ausgesprochen christlichen Kurs, den unsere Regierung einschlägt und verfolgt, und leihen ihr gerne unsere moralische Hilfe und Unterstützung ihrer christlichen Bestrebungen. Ja, wir bitten geradezu alle unsere Gläubigen, der Arbeit der Regierung nicht nur keinen offenen oder geheimen Widerstand entgegenzusetzen, sondern sie vertrauensvoll und wirksam zu unterstützen zum beiderseitigen Wohle von Staat und Kirche.“2
Vorbild für Dollfuß‘ Gedanken des Ständestaats war die Enzyklika Quadragesimo anno, in der Papst Pius XI. 1931 seine Vorschläge für Gesellschaftsreformen formulierte. Neben anderen Themen spricht er unter den Punkten 81 bis 87 die wünschenswerte Schaffung einer berufsständischen Ordnung an. Beispielhaft zitiere ich hier drei Punkte seiner Ausführungen:
„81. In heißem Bemühen aber müssen Staatsmänner und gute Staatsbürger dahin trachten, aus der Auseinandersetzung zwischen den Klassen zur einträchtigen Zusammenarbeit der Stände uns emporzuarbeiten.
82. Erneuerung einer ständischen Ordnung also ist das gesellschaftspolitische Ziel. Bis zur Stunde dauert ja der unnatürlich-gewaltsame Zustand der Gesellschaft fort und ermangelt infolgedessen der Dauerhaftigkeit und Festigkeit; ist doch die heutige Gesellschaft geradezu aufgebaut auf der Gegensätzlichkeit der Interessenlagen der Klassen und damit auf dem Gegensatz der Klassen selbst, der allzuleicht in kraftvoller und wirksamer aber wird die Einheit sein, je hingebender feindseligen Streit ausartet.
[…]
84. Ordnung bedeutet, wie der hl Thomas meisterhaft ausführt, Einheit in wohlgegliederter Vielheit. Eine rechte gesellschaftliche Ordnung verlangt also eine Vielheit von Gliedern des Gesellschaftskörpers, die ein starkes Band zur Einheit verbindet. Die Kraft eines solchen Einheitsbandes besitzen einmal die Güter und Dienstleistungen, deren Erzeugung bzw. Darbietung die Angehörigen des gleichen Berufsstandes, gleichviel ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, obliegen, zum andernmal das Gemeinwohl, zudem sämtliche Berufsstände, jeder zu seinem Teil, mitzuwirken und beizutragen haben. Um so alle, die einzelnen und die Stände, ihren Beruf erfüllen und Hervorragendes darin zu leisten sich bemühen.
[…]“3
Diese päpstlichen Ausführungen waren allerdings nicht darauf ausgelegt als Fundament einer Staatsform zu dienen, sondern sollten einen Wandel in der Ordnung der Gesellschaft beschreiben. Dennoch hielt Dollfuß an dem Gedanken fest, diese Enzyklika als Auftrag zum Umbau des Staates wahrzunehmen.
Die Berufsstände, von denen hier die Rede ist, waren:
- Land- und Forstwirtschaft
- Öffentlicher Dienst
- Industrie und Bergbau
- Gewerbe, Handel und Verkehr
- Geld-, Kredit- und Versicherungswesen
- Freie Berufe
Tod und Gedenken
Im Zuge eines nationalsozialistischen Putschversuchs am 25. Juli 1934 wurde Dollfuß angeschossen – wenige Stunden später war er verblutet. Die Trauer um ihn war vor allem in katholisch-ländlichen Bevölkerungsschichten groß, denn er entstammte einer religiösen bäuerlichen Gegend, dem kleinen niederösterreichischen Ort Texing. Dollfuß war Zeit seines Lebens und in seinen politischen Funktionen eng mit der ländlichen Bevölkerung verknüpft, zuerst als Sekretär des Bauernbundes und später als Landwirtschaftsminister.
Auch die Kirche trauerte um ihn, schließlich war sie dank der Maiverfassung, die am 1. Mai 1934 in Kraft getreten war, zu einer wichtigen Säule des geplanten Ständestaats geworden. Schon in der Präambel dieser Verfassung wurde der hohe Stellenwert Gottes und der christlichen Lehre betont:
„Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung.“4
So verwundert es nicht, dass hauptsächlich in kirchlich und bäuerlich dominierten Umgebungen in den Folgejahren zahlreiche Erinnerungstafeln angebracht wurden, Skulpturen, Denkmäler und Malereien entstanden, Dollfußkapellen wurden errichtet und geweiht.
In der Pfarrkirche von St. Jakob in Defereggen fertigte Johann Baptist Oberkofler, ein aus Südtirol stammender Maler und Priester, 1935 das in diesem Artikel gezeigte Fresko in der zweiten Kuppel der Kirche. 1929 war er von Pfarrer Leonhard Wiedemayr mit der künstlerischen Ausgestaltung der Kirche beauftragt worden. Nachdem er bis 1930 zwei Glasfenster geschaffen hatte, setzte er 1934 seine Arbeit in den Kuppeln fort. Wegen der störenden Leere der Flächen konzipierte er Fresken, in denen er frühchristliche Motive verarbeitete. Im Juli 1934 stellte er das Fresko der ersten Kuppel fertig. Offensichtlich entschloss er sich kurzfristig nach dem Tod Dollfuß‘ am 25. Juli dazu, den der katholischen Kirche so wohlgesonnenen Bundeskanzler in der zweiten Kuppel zu verewigen.
Im Fresko dieser zweiten Kuppel preisen alle Herrscher und Völker der Welt Jesus Christus, darunter auch der letzte Kaiser Österreichs, Karl I., auf einem weißen Pferd sitzend.
Durch zwei Soldaten von ihm getrennt ist Engelbert Dollfuß zu sehen. Neben und vor ihm ordnete Oberkofler angeblich zwei seiner langjährigen Mitstreiter an: Stehend Emil Fey und kniend Ernst Rüdiger von Starhemberg, beide christlichsoziale Politiker und Führer der Heimwehr.
Aus welchem Grund genau das Fresko im Nationalsozialismus nicht entfernt wurde, lässt sich vermutlich nicht mehr feststellen. Nach dem „Anschluss“ wurden ansonsten kaum Mühen gescheut, die Zeichen des Ständestaats zu tilgen. Eventuell wollten die Verantwortlichen durch die Entfernung der Malerei nicht den Unmut oder Widerstand der katholischen Bevölkerung heraufbeschwören. Dieses Fresko jedoch wurde zwischen 1938 und 1945 als Denkmal des politischen Katholizismus bewahrt.
Möchtest Du Dich erkenntlich zeigen? Hier hast Du die Möglichkeit dazu.
Fußnoten:
1 Engelbert Dollfuß, Trabrennplatzrede vom 11. September 1933, online unter: Austria-Forum,
https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Symbole/Faschismus_-_die_Symbole/Trabrennplatzrede_1933 (26. Juli 2020)
2 Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934 (Wien 1935), S. 205f.
3 Papst Pius XI., Enzyklika Quadragesimo Anno (Rom 1931), online unter:
http://www.clerus.org/clerus/dati/2000-05/06-10/QAnno.html (26. Juli 2020)
4 Verfassung 1934 (Maiverfassung): online unter:
http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=bgl&datum=1934&page=33&size=45 (26. Juli 2020)
Links und Literatur:
Beschreibung der Pfarrkirche St. Jakob in Defereggen, online unter:
https://www.defereggental.eu/page.cfm?vpath=st-jakob/aktuelles/kirchen-und-kapellen/pfarrkirche-st-jakob (26. Juli 2020)
Lucile Dreidemy, Totenkult für einen Diktator, online unter:
https://www.zeit.de/2011/30/A-Engelbert-Dollfuss/komplettansicht (26. Juli 2020)
Wilhelm J. Wagner, Bildatlas der österreichischen Zeitgeschichte 1918–1938 (Wien/Köln/Weimar 2007)
Interne Links:
Mehr zu den Jahren von 1918 bis zum „Anschluss“:
https://www.worteimdunkel.at/?page_id=457