Als die Kriegsindustrie in Österreich ab der zweiten Jahreshälfte 1943 in die Reichweite der alliierten Bomberverbände geriet, machte man sich mit Hochdruck daran, die Produktion kriegswichtiger Güter an nicht gefährdete Orte zu verlagern. Exemplarisch seien die Wiener Neustädter Flugzeugwerke (WNF) erwähnt, die am 13. August 1943 als erstes Ziel im Rahmen der strategischen Luftangriffe der Alliierten angegriffen worden waren. Die ersten Verlagerungen fanden in leerstehende Fabriken in mehr oder weniger nahem Umkreis um die jeweiligen Werksstandorte statt. Dieser Artikel beschäftigt sich jedoch nicht mit den Verlagerungsstandorten der WNF, sondern mit einem der Steyr-Daimler-Puch-AG in Ebensee.
Da die oberirdischen Verlagerungen der Rüstungsindustrie bald durch die alliierte Luftaufklärung ausgespäht waren, orientierten sich die deutschen Verantwortlichen bald in Richtung Untergrund.
In einer ersten Welle wurden österreichweit bestehende unterirdische Hohlräume wie etwa Brauereikeller, Stifts- und Klosterkeller, Höhlen, Bergwerke oder Straßen- und Eisenbahntunnels auf ihre Tauglichkeit als Verlagerungsstandort sondiert und gegebenenfalls kriegswichtige Industrieunternehmen dorthin verlagert.
Anschließend wurden in einer zweiten Welle Stollenanlagen für die Kriegsproduktion neu errichtet. Auf österreichischem Gebiet gab es mehrere dieser Anlagen, von denen die drei größten in Roggendorf (Deckname „Quarz“), St. Georgen an der Gusen (Deckname „Bergkristall“) und Ebensee (Deckname „Zement“) entstanden.
Die Stollen in Ebensee sollten der Forschung und Weiterentwicklung der A4-Rakete dienen, nachdem die Heeresversuchsanstalt Peenemünde, wo sich die Raketenforschung zu diesem Zeitpunkt konzentriert hatte, Mitte August 1943 schwer bombardiert worden war.
Um die Stollen überhaupt aus dem Fels schlagen zu können, war man auf die Arbeitskraft von KZ-Häftlingen angewiesen, da die meisten einheimischen Arbeiter in diesen Kriegsjahren bereits zur Wehrmacht eingezogen worden waren. Nur die wenigsten erfreuten sich einer sogenannten Uk-Stellung – sie galten als unabkömmlich und wurden nicht eingezogen.
Im November 1943 kamen die ersten Häftlinge aus dem Lager Redl-Zipf, wo ebenfalls ein Standort der Raketenforschung und -entwicklung eingerichtet wurde, nach Ebensee. Ihre erste Aufgabe bestand darin, dieses Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen, das etwa 6.000 bis 7.000 Häftlinge aufnehmen sollte, zu errichten.
Ab Jänner 1944 wurde das Lager belegt und die Zwangsarbeit im Rahmen des Projekts „Zement“ setzte ein. So entstanden in Ebensee zwei unterirdische Verlagerungsstandorte – die Anlage A mit 12 Stollen, die durch Querstollen miteinander verbunden waren und etwas über einen Kilometer davon entfernt die Anlage B mit 9 Stollen.
Durch veränderte Planungen und unzählige Diskussionen später wurde das ursprüngliche Projekt, in dieser Stollenanlage das Forschungs- und Entwicklungszentrum der Raketenforschung einzurichten, im Herbst 1944 fallengelassen. Die unterirdischen Räume wurden nun zu anderen Zwecken genutzt. Den größten Anteil an den Flächen der Anlage A nahm ab diesem Zeitpunkt die Verarbeitung von Erdöl ein. Im Rahmen des sogenannten Mineralölsicherungsplans – nach dem Verantwortlichen für dieses Vorhaben Edmund Geilenberg auch „Geilenberg-Programm“ genannt –, war beabsichtigt, vier ölverarbeitende Fabriken hier unterzubringen:
- Schmierölproduktion, Deckname „Dachs II“
- Benzin- und Dieselproduktion, Decknamen „Ofen XXIII“ bis „Ofen XXX“
- Auto- und Flugzeugbenzinproduktion, Deckname „Iltis“
- Crackanlage, Deckname „Taube I“
Mit Ausnahme der „Ofen“-Anlagen, die ab Februar 1945 die Herstellung von Treibstoff aufnahmen, lief die Produktion bis Kriegsende nicht mehr an.
Die in diesem Beitrag gezeigten Beschriftungen stammen jedoch aus Anlage B. Dort wurde im Stollen 5 eine Gedenkstätte eingerichtet, die sich der Erinnerung an die über 8.500 hier verstorbenen KZ-Häftlinge widmet. Insgesamt wurden etwa 27.000 Häftlinge in Ebensee zur Zwangsarbeit herangezogen.
Nachdem das Raketenprojekt in Ebensee zu den Akten gelegt worden war, bemühten sich andere kriegswichtige Unternehmen darum, die freigewordenen Räume zugewiesen zu bekommen. Die Steyr-Daimler-Puch AG (SDP) war es schließlich, die in den fertiggestellten Bereichen ihre Maschinen aufstellen konnte, wo sie Motorenteile für Flugzeuge, Panzer und Lastwagen produzierte.
Die Nummerierungen an den Wänden und die Beschriftungen L. und R. an der Abschlussmauer des Stollens dienten der Bezeichnung der aufgestellten Maschinen, die die SDP hier montiert hat. So konnte man genau feststellen, welche Maschine defekt war oder gewartet werden musste. „L 47“ war etwa die vorletzte Maschine auf der linken Seite, „R 1“ die erste Maschine nach dem Eingang rechts.
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Links und Literatur:
Wolfgang Quatember, Der „Hatschek-Steinbruch“ in Ebensee. Das Verhältnis des Betriebes zur Rüstungsbaustelle des „SS-Führungsstabes Kammler“ und zum KZ-Nebenlager Ebensee (1943–1945), In: betrifft WIDERSTAND 97, Juli 2010, S. 19–27.
Andreas Schmoller, Kurzgeschichte KZ Ebensee. Raktenaufrüstung und das Projekt „Zement“, online unter: https://memorial-ebensee.at/website/index.php/de/geschichte/19-konzentrationslager/6-kz-ebensee (18. Januar 2020)
Hans Walter Wichert, Decknamenverzeichnis deutscher unterirdischer Bauten des zweiten Weltkrieges (Marsberg 1999)
Gedenkstätte Ebensee:
https://memorial-ebensee.at/website/index.php/de/
Interner Link:
Mehr zu den Jahren von 1939 bis Kriegsende:
https://www.worteimdunkel.at/?page_id=1343