Im Herbst 1940 befahl Adolf Hitler die Errichtung von Luftschutzanlagen, um die Zivilbevölkerung vor Luftangriffen zu schützen. Zu diesem Zeitpunkt tobte zwischen Deutschland und England eine etwa einjährige Luftschlacht, deren Anfänge bereits im Mai 1940 zu suchen sind. Damals griffen englische Flieger Verkehrs- und Industrieanlagen in Nordwestdeutschland an, was deutsche Gegenangriffe auf englische Städte wie Coventry oder auch London nach sich zog.
Nachdem die englische Hauptstadt am 24. August 1940 zum ersten Mal von deutscher Luftwaffe bombardiert worden war, richtete sich die englische Vergeltung gegen die Hauptstadt Deutschlands. Berlin wurde am 26. August erstmals angegriffen, was Hitler unter Zugzwang setzte. Schließlich hatten Hermann Görings vollmundige Ankündigungen, niemals würde eine Bombe auf das Ruhrgebiet fallen, für ein generelles Sicherheitsgefühl in der deutschen Bevölkerung gesorgt.
In den gleichen Zeitraum fällt übrigens auch der erste Luftangriff des Zweiten Weltkriegs auf ein österreichisches Ziel. Mitten in der Nacht von 5. auf 6. September 1940 warf ein einzelnes englisches Kampfflugzeug Bomben über der Baustelle des Aluminiumwerkes Ranshofen ab und beschoss die Arbeiter.1
Für lange Zeit blieb es danach im Luftraum über Österreich ruhig. Als am 6. April 1941 jugoslawische Flugzeuge im Verlaufe des deutschen Balkanfeldzuges über Graz flogen und einzelne Bomben abwarfen, kam es zum ersten österreichischen Todesopfer des Luftkriegs: Die 13-jährige Maria Schrotter musste sterben, weil sie zur falschen Zeit an der falschen Stelle spazieren ging.
Weitere zwei Jahre blieb es über Österreich ruhig, ehe Mitte August 1943 der erste Großangriff auf Wiener Neustadt erfolgte und in der Folge österreichische Ziele bis Kriegsende hauptsächlich von amerikanischen Bombern angegriffen wurden. Deshalb galt Österreich bis Mitte 1943 scherzhaft als „Reichsluftschutzkeller“, weshalb es sich großer Beliebtheit als Verlagerungsstandort für die deutsche Kriegsindustrie erfreute, die im „Altreich“ bereits jahrelang den alliierten Bombardements ausgesetzt war.
Hitler musste sich also spätestens Ende August 1940 von der Idee verabschieden, mittels aktiver Luftschutzmaßnahmen – darunter verstand man hauptsächlich die Flug- bzw. Fliegerabwehrkanonen (Flak) – der englischen Flugzeuge Herr zu werden. Er sah sich dringend veranlasst, ab nun den Ausbau des passiven Luftschutzes in Form von Bunker- und anderen Luftschutzanlagen zu forcieren. Am 10. Oktober ordnete er die umgehende Durchführung eines reichsweiten Bauprogramms an, das dem Luftschutz der Zivilbevölkerung dienen sollte – das „Führer“-Sofortprogramm. Damit war das größte jemals durchgeführte zweckgebundene Bauprogramm der Menschheitsgeschichte ins Rollen gebracht worden. Letztendlich entstanden in dessen Zuge mehr als 3000 Bunker für den Selbstschutz der Zivilbevölkerung im gesamten Deutschen Reich.2
Im Zuge dieses Programms wurden auch in Wien, das als Luftschutzort 1. Ordnung klassifiziert und mit entsprechend umfangreichen Baumaßnahmen belegt wurde, schon ab Herbst 1940 erste Tiefbunkeranlagen errichtet. Unter großen öffentlichen Plätzen wie etwa dem Phorusplatz, dem Yppenplatz oder dem Laubeplatz entstanden Bunkeranlagen, die einem einheitlichen Bauplan folgten: Auf einer Grundfläche von 40 x 20 Metern wurden einem Kammersystem folgend Bunker mit Schutzplätzen für 300 Personen erbaut. Im Alarmfall waren diese Anlagen jedoch massiv überbelegt, sodass sich bis zur doppelten Zahl an schutzsuchenden Menschen hier aufhielten.
Die effektive Grundfläche betrug etwa 760 Quadratmeter, auf denen sich 44 Kammern, der rundumlaufende Gang, die Stiegenabgänge, die Gasschleusen und die Räume für die Belüftungsanlagen befanden. In jedem Bunker dienten zwei Kammern als WC-Räume und zwei als Waschräume. Weitere Kammern waren für die Aufnahme von Kranken, Kriegsversehrten, Alten oder Schwangeren bzw. Müttern mit Kleinkindern vorgesehen – die restlichen für Personen ohne besondere Anforderungen.
Die Belegung und Beschriftung der Räumlichkeiten war jedoch unterschiedlich. Einerseits gab es Bunker mit Kammern für Kranke, in anderen wiederum war kranken Personen der Zutritt nicht gestattet. In manchen Leuchtstreifen war der Hinweis auf das Rauchverbot zu lesen, in anderen wiederum der Weg zur Erste-Hilfe-Kammer. Manche Bunker waren nur mit notwendigsten Informationen versehen, andere mit Hinweisen regelrecht vollbeschriftet.
Der Bau der Tiefbunkeranlagen wurde jedoch schon bald zu teuer, da für ihre Errichtung mehr Beton erforderlich war als für Hochbunker. Dies erklärt sich aus drucktechnischen Erwägungen: Explodiert eine Bombe nahe eines Hochbunkers, so breitet sich der Druck nur zu einem geringen Teil in Richtung des Bunkers aus, die restliche Explosionsenergie fährt in die Luft. Schlägt jedoch eine Bombe neben einem Tiefbunker ein und detoniert im Boden, so wirkt auf das Bauwerk höherer Druck, da weniger Energie in die Luft entweichen kann.
In der Folge entstanden nach der ersten Welle des Bunkerbauprogramms, die von November 1940 bis Ende 1941 lief, Tiefbunker nur noch in wenigen Fällen, während Hochbunker bevorzugt errichtet wurden. Der bevorstehende Krieg gegen die Sowjetunion, der am 22. Juni 1941 begann, ließ das Bunkerbauprogramm zusätzlich in den Hintergrund treten. Zahlreiche von der Wehrmacht gestellte Arbeitstrupps wurden abgezogen und an die Front geschickt. Ebenso wurden große Teile der Baumaschinen nun im Osten gebraucht und ebenso von den Baustellen des Sofortprogramms abgezogen.
Stattdessen wurde nun der luftschutzmäßige Ausbau von Kellern forciert, was überschaubare Mengen von Beton, Holz und Stahl erforderte und mit weniger Arbeitern zu bewerkstelligen war. Erst als in Hamburg Mitte 1943 fast 40.000 Menschen durch Luftangriffe starben, wurde das seit Anfang 1942 auf Sparflamme lodernde Bunkerbauprogramm wieder verstärkt durchgeführt, wenngleich der Mangel an Arbeitern und Baustoffen einen vollen und schnellen Ausbau unmöglich machte.
Die im Artikel gezeigten Beschriftungen „Erste Hilfe“, „Für Kranke“ und „Für Kriegsversehrte“ können im Befreiungsmuseum Wien betrachtet werden, das in einem ehemaligen Luftschutzbunker beheimatet ist.
Möchtest Du Dich erkenntlich zeigen? Hier hast Du die Möglichkeit dazu.
Fußnoten:
1 Zum englischen Fliegerangriff auf Ranshofen siehe Eintrag im Kriegstagebuch der Rüstungsinspektion XVII, online unter:
https://www.worteimdunkel.at/?page_id=1343#luftangriff
2 Führer-Sofortprogramm, online unter:
https://www.worteimdunkel.at/?page_id=490#sofortprogramm
Links und Literatur:
Michael Foedrowitz, Bunkerwelten. Luftschutzanlagen in Norddeutschland (Augsburg 2011)
Alexander Glück, Marcello La Speranza, Peter Ryborz, Unter Wien. Auf den Spuren des Dritten Mannes durch Kanäle, Grüfte und Kasematten (Berlin 2001)
Sven Felix Kellerhoff, Ein Irrtum löste den Bombenkrieg gegen Städte aus, online unter: Welt, https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article145416934/Ein-Irrtum-loeste-den-Bombenkrieg-gegen-Staedte-aus.html (17. Februar 2020)
Christoph Kucklick, Terror gegen den Terror, online unter:
Geo-Magazin, https://www.geo.de/magazine/geo-epoche/10844-rtkl-terror-gegen-den-terror (17. Februar 2020)
Marcello La Speranza, Burgen, Bunker, Bollwerke. Historische Wehranlagen zwischen Passau und Hainburg (Graz 2004)
Marcello La Speranza, Der zivile Luftschutz in Österreich 1919–1945. In: Republik Österreich, Bundesminister für Landesverteidigung (Hg.), Kuckucksruf und Luftschutzgemeinschaft. Der Luftschutz der Zwischenkriegszeit – Avantgarde der modernen ABC-Abwehr und des zivilen Luftschutzes (Schriftenreihe ABC-Abwehrzentrum 8, Korneuburg 2019)
Arnulf Scriba, Die „Luftschlacht um England“, online unter:
LEMO – Lebendiges Museum online, https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/luftschlacht-um-england-194041.html (17. Februar 2020)
Wien Geschichte Wiki, Luftschutzbunker, online unter:
https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Luftschutzbunker (17. Februar 2020)
Interne Links:
Mehr zu den Jahren von 1939 bis Kriegsende:
https://www.worteimdunkel.at/?page_id=1343
Mehr zum Führer-Sofortprogramm:
https://www.worteimdunkel.at/?page_id=1343#sofortprogramm
Ich finde die abgebildeten Beispiele typographisch ziemlich interessant: das „FÜR“ ist im Gegensatz zu den Zeilen darunter identisch, fast als ob man es zunächst blanko angebracht hätte. Und auch die Vorzeichnungen verhalten sich kurios; bei „Für Kriegsversehrte“ scheint man nur einlinig die grobe Position beider Wörter getestet zu haben, nur die „Kranken“ dagegen haben exakte Umrisse als Vorzeichnung (obwohl ja in allen Fällen die endgültige Position etwas zum Entwurf verschoben ist). Dabei ist aber nur bei Letzteren zumindest dieselbe Type verwendet (der Unterschied liegt nur zwischen der Größe und normal / halbfett) – die „Kriegsversehrten“ haben dagegen sogar runde statt eckigen Hastenenden wie die beiden „FÜR“. Nur die „Erste Hilfe“ wirkt auf mich wie aus einem Guß. Ich würde ja gern mal die Schablonensammlung sehen, die man beim Bau verwendet hat. Ist das in anderen dir gut bekannten Bunkern auch so? Ich war viel im Arenbergleitturm unterwegs; die Beschriftungen dort hab ich aber eher recht einheitlich in Erinnerung.
Danke für deinen Kommentar!
Ja, die Unterschiede sind auffällig. Die einfachste Erklärung ist, dass zwei verschiedene Personen mit der Anbringung der Beschriftung beauftragt waren, deren stilistische Unterschiede man nun erkennen kann. Dafür spricht meines Erachtens, dass der Großbuchstabe K bei den „Kranken“ und den „Kriegsversehrten“ verschieden geschrieben wurde, was bei nur einer beauftragten Person wohl nicht so wäre.