Im heutigen Artikel beschäftige ich mich mit einer für meinen Blog untypischen schriftlichen Hinterlassenschaft. Es handelt sich dieses mal nämlich nicht um eine Beschriftung an einer Mauer oder eine Einritzung an einem Ziegel, sondern um eine Zeitung. Vor einigen Jahren besuchte ich einen Keller, in dem auf einem Stoß Ziegelsteine einige Ausgaben einer Zeitung aus dem Jahr 1932 lagen, deren Schlagzeilen mir höchst eigenartig erschienen.
Modernen Verschwörungstheorien der Anti-Corona-Maßnahmen-Protestierer oder der geifernden Rhetorik rückwärtsgewandter konservativ-nationalistischer Parteien stehen die Formulierungen in dieser Zeitung in nichts nach. Es zeigen sich sogar vereinzelte Parallelen in der Wortwahl als Anzeichen für so manche antisemitische und rassisch-völkische Ideologie, die unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit über viele Jahrzehnte bis heute vor sich hin brodelt. Schon der Slogan „Sieg der Wahrheit: Der Lüge Vernichtung!“ garantiert der kritischen Leserin und dem kritischen Leser das Gegenteil. Auch heute noch sprechen derartige Formulierungen vor allem die Unkritischen an.
Mein erster Eindruck sagte mir: Wenn es eine Zeitung ist, dann gibt sie die Stimmung der Zeit ihres Erscheinens wieder. Ich blätterte durch die Artikel und war einigermaßen irritiert. Konnte es wirklich sein, dass Schlagzeilen wie „Drohendes Ende Deutschen Lebens“, „Vor dem neuen Weltkrieg“, „Parlamentarismus am ‚Verrecken‘“, „Schwarz-braunes ‚Edelmenschentum‘“, „Christliche ‚Henker‘ des Christentums“ und ähnliche weitere die tatsächliche Intensität des Empfindens der Bevölkerung von 1932 widerspiegelten?
Der Herausgeber dieses Blatts war Erich Ludendorff, der im Ersten Weltkrieg die deutsche Kriegsführung maßgeblich beeinflusst beziehungsweise gesteuert hat. Gemeinsam mit Paul von Hindenburg leitete er erfolgreich viele militärische Operationen. Als hundertprozentiger Militär konnte er 1918 den Waffenstillstand auf Seiten der Verlierer nicht akzeptieren und war schon damals ein Verfechter der „Dolchstoßlegende“. Diese Verschwörungstheorie besagt, sozialdemokratische Zivilisten und das Judentum hätten dem in der Schlacht unbesiegten deutschen Heer einen „Dolchstoß“ in den Rücken versetzt, indem sie den Waffenstillstand viel zu früh und zu nicht tolerierbaren Bedingungen schlossen.
Gegen Kriegsende wurde Ludendorff aus Gründen mangelnder Loyalität und eines kaum nachvollziehbaren Schlingerkurses in seinen Entscheidungen und Befehlen aus seiner militärischen Funktion entlassen. Als er bemerkte, dass Paul von Hindenburg seine Stellung behielt, brach er mit ihm und teilte ihm in seiner Verbitterung mit, er wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben.
In den Wochen vor seiner Entlassung hatte er durch Intrigen versucht, die Verantwortung für den verlorenen Krieg vom Militär – und somit von sich – an eine neu einzusetzende parlamentarische Regierung abzuwälzen, nur um im Anschluss dafür einzutreten, den Krieg wieder fortzuführen. Er setzte sich also erst für die Errichtung einer zivilen Regierung ein, um ihr im Anschluss die Schuld an der Niederlage geben zu können, damit seine Dolchstoßlegende eine Grundlage hätte. Es ist also deutlich erkennbar, dass schon damals die Gedankengänge verbohrter Verschwörungstheoretiker auf absurd-verdrehten Irrealitäten basierten, solang sie nur den Sinn erfüllten, selbst keine Verantwortung übernehmen zu müssen.
In weiterer Folge richtete er sich auf politischer Ebene klar gegen die Republik aus und beabsichtigte, dem antisemitischen, völkischen, radikalen rechten Spektrum der deutschen Parteienlandschaft als führender Politiker seinen Stempel aufzudrücken, was jedoch von Adolf Hitler vereitelt wurde. 1924/1925 brach Ludendorff auch mit ihm, obwohl ihre Überzeugungen ziemlich deckungsgleich waren. Aus Ludendorffs Sicht galt Hitler als Verräter der völkisch-religiösen Werte Deutschlands, weil dieser im Bestreben seine politische Macht auszubauen, moderatere Töne in dieser Richtung angeschlagen hatte. In diesem Verhalten vermeinte Ludendorff eine Hörigkeit Hitlers gegenüber dem christlichen Rom zu erkennen – ein Motiv, das öfter in seinen Artikeln erscheint.
In dieser Phase lernte er 1923 seine spätere Frau Mathilde kennen, die sich neben ihrem Beruf als Ärztin „philosophisch“ betätigte. Sie versuchte, „Erkenntnisse der biologischen Entwicklungslehre […] mit einer rassistisch begründeten und antisemitisch akzentuierten Weltanschauung zu einer deutsch-völkischen Glaubenslehre zu verbinden.“1
Die geistigen Verirrungen des Erich Ludendorff hatten mit der Dolchstoßlegende noch nicht ihr Ende gefunden. Ganz im Gegenteil:
„Er fand in den Ideen der ‚Philosophien‘, wie er sie stets nannte, die Begründung der von ihm behaupteten dämonischen Verschwörung gegen Deutschland. Im Kreis der militanten rechtsradikalen Republikgegner um Ludendorff hoffte [Mathilde] die Rolle einer philosophischreligiösen Vordenkerin spielen zu können. 1926 heiratete die ‚Philosophin‘ den ‚Feldherrn‘, der 1927 aus der Kirche austrat und im Anschluß an die erst jetzt publizierte Satzung des ‚Tannenbergbundes‘ in diesem Jahr auch seine ‚Kampfziele‘ formulierte, in denen eine Art Aktionsprogramm des ‚Hauses Ludendorff‘ zu sehen ist. Wie der General entdeckte [Mathilde] zu dieser Zeit in der Freimaurerei einen weiteren Gegner und erklärte einige große Gestalten der deutschen Geistesgeschichte als Opfer jüdisch-freimaurerischer Mordintrigen.“2
Die beiden hielten zu diesen Themen Vorträge und gründeten den „Ludendorff’s Volkswarte-Verlag“, in dem ab Mai 1929 die Zeitung „Ludendorff’s Volkswarte“ erschien, von der in diesem Artikel einige Titelblätter zu sehen sind. Angesichts dieser Genese des völkisch-religiösen Glaubenswahns verwundert die dazugehörige Gründung einer Religionsgemeinschaft unter dem Namen „Deutschvolk“ nicht mehr allzu sehr.
Nachdem Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannt worden war, verbot er sowohl das Deutschvolk als auch den Tannenbergbund, denn dessen 50.000 Mitglieder versammelten sich nicht nur, um „gegen alle ‚Niederrassigen‘ und die ‚überstaatlichen‘ Weltverschwörungen von Juden, Freimaurern und Jesuiten“3 zu agitieren, sondern auch als Angehörige einer germanischen Religionsgemeinschaft. Das Verbot wurde allerdings nur nachrangig überwacht, sodass die Schriften der Ludendorffs trotzdem ungehindert verbreitet werden konnten.
Interessant ist an dieser Stelle ein Eintrag im Tagebuch von Alfred Rosenberg, dem Chefideologen der NSDAP. Am 19. August 1936 schreibt er seine ungefilterte Meinung zu Ludendorff nieder, die das ambivalente Verhältnis der Nationalsozialisten zum einst angesehensten deutschen Heerführer zeigt, der die NSDAP doch so vehement bekämpfte:
„Ich war erstaunt, heute einen Brief von Ludendorff zu erhalten. Unter Hintanstellung ‚persönlicher Bedenken‘ übersendet er mir das gemeinsam mit seiner Frau gemachte neue Erzeugnis ‚Die Bibel nicht Gottes Wort‘. Ich habe die Schrift gelesen, sie ist bedeutend besser als Mathildens sonstige Elaborate, die an Schwulst und Geschmacklosigkeit schwer zu übertreffen sind. Es bleibt für immer bedauerlich, dass L[udendorff] in die Hände einer solchen Jugendstil-Philosophin geraten ist. Er wurde mit 50 Jahren vor Fragen gestellt, über die andere schon mit 15 zu denken begonnen hatten, u. fällt über die Schlechtigkeit der Priester von einem Entsetzen ins andere. Geht wie ein Soldat auf die Probleme los, die nun aber nicht mit Kanonen zusammenzuschiessen sind. Und der erhobene philosophische Regenschirm von Mathilde sollte eigentlich nicht zu ihm passen. Aber er schämte sich wohl, von Männern belehren zu lassen, u. ficht jetzt als Sektierer für die ‚grösste Philosophin des deutschen Volkes‘.“4
Schon zwei Jahre zuvor notierte Rosenberg ähnliche Worte in sein Tagebuch:
„Dass er anstatt Soldat zu bleiben, Denker werden wollte, wurde sein Verhängnis. Und da er sich innerlich doch unsicher fühlte, so schämte er sich Männerrat anzunehmen u. fiel in die Fänge einer halbseidenen ‚Philosophin‘, deren Unsinn er als Ritter nunmehr glaubte bis zum letzten verteidigen zu müssen.“5
Ludendorffs Geschichte und Werdegang vor seiner gemeinsamen Zeit mit Mathilde lässt jedoch darauf schließen, dass es nicht nur seine Frau war, die für die „Philosophie“, die sie verbreiteten, verantwortlich zeichnete. Vielmehr gehe ich davon aus, dass sie sich in ihren Theorien und verworrenen Gedanken gegenseitig befruchteten.
Erst im Frühjahr 1937 begruben Ludendorff und Hitler das Kriegsbeil. Erstgenannter setzte durch, die verbotenen Vereine „Tannenbergbund“ und „Deutschvolk“ durch die legale Neugründung des „Bund für deutsche Gotterkenntnis“ fortzuführen. Der nationalreligiöse Germanenglaube, der dort „gelehrt“ und gefeiert wurde, gehörte zu den wenigen völkischen Bewegungen abseits des Nationalsozialismus, die zu dieser Zeit geduldet wurden.
Bezeichnenderweise plante Hitler schon zu Lebzeiten Ludendorffs dessen Tod für sich zu nutzen. Rosenberg schreibt dazu in seinem Tagebuch, wie undiszipliniert sich Ludendorff bei der Beisetzung von Hindenburgs verhielt, nicht in dessen Wagen fuhr und Hitler die Begrüßung verweigerte. Schon zuvor hatte er es abgelehnt, seine Fahnen nach dem Tod von Hindenburgs auf Halbmast zu setzen.
Am 6. August 1934 schreibt Rosenberg:
„Der Führer nennt L[udendorffs] Haltung eine ‚Disziplinlosigkeit vor der Nation‘. ‚Nie hätte er das tun dürfen‘, fügt er mehrfach hinzu. Dann aber: ‚Er wird seinem Schicksal aber doch nicht entgehen, denn wenn er stirbt, dann werden wir ihn unter die Heroen Deutschlands einreihen.‘
Sein jetziges Verhalten erklärt der Führer durch die Drüsenoperation durch seine jetzige Frau. Sie sei offenbar nicht geglückt u. hätte das innere Gleichgewicht L[udendorffs] ganz gestört.“6
Hitler nutzte tatsächlich das Begräbnis Ludendorffs, der am 20. Dezember 1937 verstorben war, um als „Führer“ der NSDAP das Heer, bei dem Ludendorff nach wie vor hohes Ansehen genossen hatte, näher an die Partei heranzubringen. Schließlich plante er zu diesem Zeitpunkt schon, demnächst Kriege zu führen. Er inszenierte das Begräbnis als bombastischen Staatsakt gegen den Willen des Verstorbenen, um die „Traditionszusammenhänge der NSDAP als Erbin der Frontsoldatenbewegung zu retten“.7
Schon damals entbehrten die Theorien und „Philosophien“ jeglicher nennenswerten Grundlage, wobei es keinen Unterschied macht, ob die Theorien von den Ludendorffs kamen oder von den Nationalsozialisten, die – vom religiösen Inhalt abgesehen – sehr ähnlich waren. Wirft man einen Blick auf die Leitartikel, so ist darin der gleiche Geist erkennbar, der auch in der aktuellen Wortwahl extrem rechter Parteien und Gruppierungen ans Licht tritt, die heute wie damals versuchen, unkritischen Menschen die einzig wahre Wahrheit zu verkaufen. Wohin diese Angstmacherei letztendlich geführt hat, ist traurige Geschichte.
Weitere Titelblätter:
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Fußnoten:
1+2 Rudolf Radler, „Ludendorff, Mathilde“. In: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 290–292, online unter:
https://www.deutsche-biographie.de/pnd11857485X.html#ndbcontent
3 Bruno Thoß, „Ludendorff, Erich“. In: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 285–290, online unter:
https://www.deutsche-biographie.de/pnd118574841.html#ndbcontent
4 Jürgen Matthäus, Frank Bajohr (Hg.), Alfred Rosenberg, Die Tagebücher von 1934 bis 1944 (Frankfurt am Main 2018), Seite 193.
5+6 Jürgen Matthäus, Frank Bajohr (Hg.), Alfred Rosenberg, Die Tagebücher von 1934 bis 1944 (Frankfurt am Main 2018), Seite 153.
7 Bruno Thoß, „Ludendorff, Erich“. In: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 285–290, online unter:
https://www.deutsche-biographie.de/pnd118574841.html#ndbcontent
Interne Links:
Mehr zu den Jahren von 1918 bis zum „Anschluss“:
https://www.worteimdunkel.at/?page_id=457
Mehr zum Jahr 1932:
https://www.worteimdunkel.at/?page_id=457#1932