Liest man Erzählungen und Zeitzeugenberichte des Zweiten Weltkriegs, so trifft man immer wieder auf den Begriff „Pst!“ oder die Parole „Pst, Feind hört mit!“. Doch worum ging es dabei? Wollten die Behörden so für Ruhe im Luftschutzraum sorgen? Von welchem Feind war hier die Rede? Und warum dachten die Behörden, selbst das „kleine Volk“ müsste zum Schweigen konditioniert werden?
Die Entstehung der Parole selbst durchlief mehrere Stadien. Schon im Ersten Weltkrieg warnte das Oberkommando des Heeres mit dem Spruch „Vorsicht, der Feind hört mit!“ Um der Bevölkerung diese bekannte Parole in neuem Gewand in Erinnerung zu rufen, wurde sie unter den Nationalsozialisten ein wenig modifiziert. 1938 verwendete die Reichspropagandaleitung den Spruch „Vorsicht bei Gesprächen!“ 1940 ersann die Propagandaabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht ihrer militärischen Natur entsprechend das befehlsartige „Schweig!“.
Mehrere Experimente folgten, bis letztendlich der Ausdruck „Feind hört mit“ erdacht wurde. Durch den Wegfall des Artikels am Anfang wurde besagtem Feind die nebulöse Natur eines allgegenwärtigen Gespenstes verliehen. Hatten die Menschen im Ersten Weltkrieg noch deutlich „den Feind“ – etwa die Franzosen, die Engländer, die Russen oder die Italiener – im Kopf, so hatte der artikellose Ausdruck „Feind hört mit“ etwas Ungreifbares, Unspezifisches. Damit versuchte Propagandaminister Joseph Goebbels den Menschen die konstante Angst einzuimpfen, der böse Lauscher könne in jeder Gestalt hinter allen Ecken lauern. Dieser war in den Augen des Regimes entweder ein Angehöriger des Judentums oder schlicht jeder, der aus einem Land außerhalb des NS-Machtbereiches kam.
Verantwortlich für die Verbreitung dieses Feindbildes war hauptsächlich das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Dieses wurde am 13. März 1933 in Berlin gegründet und unterstand Joseph Goebbels. Seine Aufgaben umfassten „alle Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation, der Werbung für Staat, Kultur und Wirtschaft, der Unterrichtung der in- und ausländischen Öffentlichkeit über sie und der Verwaltung aller diesen Zwecken dienenden Einrichtungen.“1
Sieben Abteilungen widmeten sich diesen Aufgaben:
- Verwaltung und Recht
- Propaganda
- Rundfunk
- Presse
- Film
- Theater, Musik und Kunst
- Abwehr.2
Die größte Abteilung war jene für Propaganda. Sie umfasste zehn Referate, die unter anderem für „Positive Weltanschauungspropaganda“, „Judenfrage“, „Gegnerische Weltanschauungen“ und „Volksgesundheit“ zuständig waren.3
Goebbels erklärte den Ausdruck „Feind hört mit!“ so:
„Wer über den Krieg und seine Aussichten spricht, sollte seine Worte stets so wählen, als wenn der Feind mithört …“4
Um die Parole flächendeckend unter die Leute zu bringen, wurden allerorts von Kriegsbeginn an entsprechende Plakate angebracht. Am bekanntesten waren hier die Schattenmann-Plakate, die meist schwatzende Personen zeigten, über denen der bedrohliche Schatten eines Mannes lag, der sie belauschte. Auch Flugblätter und Aushänge in Zügen, Lokalen, Kinos und anderen Orten des öffentlichen Lebens sollten die Menschen ständig dazu veranlassen, Unterhaltungen nur mit Bedacht zu führen.
Selbst kurze Filme wurden gedreht, die den Seherinnen und Sehern vor Augen führen sollten, wie leicht sie gegebenenfalls dem potenziellen Feind zu wichtigen Informationen verhelfen könnten. Aus diesen Filmen geht hervor, dass den Behörden daran gelegen war, die Menschen dafür zu sensibilisieren, selbst scheinbar bekannte oder unwichtige Informationen gegenüber Unbekannten zu verschweigen oder sie nicht in Gesprächen zu erwähnen, die belauscht werden konnten. Gerade Angehörige der lokalen Bevölkerung wussten, wo sich etwa die Baustelle einer neuen eventuell kriegswichtigen Fabrik befand oder wie viele Truppenwaggons sich in Richtung Front in Bewegung gesetzt hatten (siehe Video-Links ganz unten).
Durch diese „erzieherischen“ Maßnahmen sollte die Bevölkerung davor bewahrt werden, sich des Geheimnisverrats schuldig zu machen und somit den lauschenden Spionen fremder Mächte keine kriegswichtigen Informationen zukommen zu lassen.
Was schlussendlich noch fehlte, war eine konkrete Handlungsanweisung für die Menschen. Ab 1943 erkannte man in Goebbels‘ Propagandaministerium den für diese Zwecke perfekten Begriff: Er lautete – wegen seiner Einfachheit von wirklich jedem zu verstehen: „Pst!“
Videos zum Thema:
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Fußnoten:
1 Verordnung über die Aufgaben des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda vom 30. Juni 1933, online unter:
http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1933&size=45&page=574 (20. Mai 2020)
2+3 Katrin Hammerstein, Reichministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP), online unter: Beamte nationalsozialistischer Reichsministerien,
https://ns-reichsministerien.de/2018/03/16/reichsministerium-fuer-volksaufklaerung-und-propaganda-rmvp/ (20. Mai 2020)
4 Andreas Fleischer, Frank Kämpfer, Das politische Plakat im Dritten Reich. In: Frank Kämpfer, Propaganda. Politische Bilder im 20. Jahrhundert, bildkundliche Essays (Hamburg 1997), S. 146-173, online unter:
http://www.frank-kaempfer.de/Neuer%20PDF%20Ordner/Politisches%20Plakat%20im%20Dritten%20Reich.pdf, S. 9 (20. Mai 2020)
Links und Literatur:
Arnulf Scriba, Die NS-Kriegspropaganda, online unter:
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/innenpolitik/ns-kriegspropaganda.html (20. Mai 2020)
Interner Link:
Mehr zu den Jahren von 1939 bis Kriegsende:
https://www.worteimdunkel.at/?page_id=1343