Noch heute existieren über 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs Zeitkapseln in Wald und Flur, in denen Relikte der dunkelsten Zeit schlummern. In diesem Artikel verlasse ich die übliche Linie des Blogs und zeige ein Zeitzeugnis, das auf Papier die Jahrzehnte überdauert hat. Im Winter 2011/2012 entdeckte ich in einem sogenannten Luftschutzdeckungsgraben – das ist ein splitter- und trümmersicherer, nicht jedoch bombensicherer Gang, der knapp unterhalb der Erdoberfläche verläuft – Reste von Gasmasken mitsamt der Verpackung und Gebrauchsanweisung. Im Artikel erzähle ich ihre Geschichte.
Eine verbotene Waffe
Im Ersten Weltkrieg sammelten die Konfliktparteien ab der Schlacht um Ypern 1915 umfassende Erfahrungen betreffend des Einsatzes von Giftgasen, die sich teils furchtbar auf den menschlichen Organismus auswirkten und tausende Soldaten dahinrafften. Die damals zum Einsatz gelangten Kampfstoffe waren größtenteils unter Überbegriffen zusammengefasst:
- Weißkreuz (Augenkampfstoffe)
- Blaukreuz (Nasen- und Rachenkampfstoffe)
- Grünkreuz (Lungenkampfstoffe)
- Gelbkreuz (Hautkampfstoffe)
- Blut- und Brandkampfstoffe
Die Bezeichnungen ergaben sich aus der Kennzeichnung der entsprechenden Munition mit weißen, blauen, grünen oder gelben Markierungen, die oft in Form von Kreuzen angebracht wurden.
Bis zum Zweiten Weltkrieg dauerte die Entwicklung der Kampfstoffe an, obwohl bereits 1907, also schon vor dem Ersten Weltkrieg, in Artikel 23(a) der Haager Landkriegsordnung die Verwendung von Gift und vergifteten Waffen verboten worden war.
„Artikel 23.
Abgesehen von den durch Sonderverträge aufgestellten Verboten, ist namentlich untersagt:
a) die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen,
[…]
e) der Gebrauch von Waffen, Geschossen oder Stoffen, die geeignet sind, unnötig Leiden zu verursachen,
[…]“1
Am 17. Juni 1925 beschloss der Völkerbund im Genfer Protokoll erneut das Verbot der Anwendung giftiger Substanzen in Konflikten:
„In der Erwägung, dass der Gebrauch von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von allen derartigen Flüssigkeiten, Stoffen oder Verfahrensarten im Kriege mit Recht in der allgemeinen Meinung der zivilisierten Welt verurteilt worden ist,
in der Erwägung, dass das Verbot eines solchen Gebrauches in den Verträgen ausgesprochen worden ist, an denen die meisten Mächte der Welt beteiligt sind,
in der Absicht, in der ganzen Welt zur Anerkennung zu bringen, dass dieses Verbot, das sich dem Gewissen und dem Handeln der Nationen gleichermassen aufdrängt, dem Völkerrecht einverleibt ist,
erklären
die unterzeichneten Bevollmächtigten im Namen ihrer Regierungen:
Die hohen vertragschliessenden Teile anerkennen dieses Verbot, soweit sie nicht schon Verträge geschlossen haben, die diesen Gebrauch untersagen. Sie sind damit einverstanden, dass dieses Verbot auch auf die bakteriologischen Kriegsmittel ausgedehnt werde, und kommen überein, sich untereinander gemäss dem Wortlaute dieser Erklärung als gebunden zu erachten.“2
Dennoch halten sich, wie wir auch in unseren „modernen“ Zeiten immer wieder aus den Nachrichten erfahren, nicht alle Konfliktparteien an die Bestimmungen. Umso verwunderlicher mag es auf den ersten Blick erscheinen, dass im Zweiten Weltkrieg kein Giftgas im Kampfeinsatz verwendet wurde. Der Grund dafür ist jedoch einfach: Jede am Krieg beteiligte Macht fürchtete den entsprechenden Vergeltungsschlag, nachdem sie Kampfstoffe eingesetzt hätte.
Die Entwicklung der Giftgase wurde trotzdem vorangetrieben. Der Deutsche Gerhard Schrader, ein für die Interessengemeinschaft Farben (IG Farben) tätiger Wissenschaftler, entdeckte 1936 das Nervengift Tambun und 1938 Sarin, die beide der militärischen Geheimhaltung unterlagen.
1944 entwickelte der Österreicher Richard Kuhn, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Medizin in Heidelberg und Nobelpreisträger für Chemie, das Nervengift Soman, das die Giftigkeit von Sarin um das Dreifache überstieg.3
Die bloße Angst, auch die Gegner Deutschlands könnten über ähnliche Kampfstoffe verfügen, bewog die deutsche Führung zum Verzicht ihres Einsatzes. Dennoch mussten sowohl Militär als auch Zivilbevölkerung für den Fall eines Giftgasangriffs gewappnet werden.
Die Volksgasmaske
Diese Maske wurde ab 1937 durch die Firmen Auer in Berlin und Dräger in Lübeck für die Zivilbevölkerung hergestellt. Das erste Modell VM 37 war dem Prinzip nach eine Haube, die man sich um den Kopf stülpte. Im Gesichtsbereich verfügte sie über Augenfenster und den Filter.
Ab 1940 wurde sie vom Modell VM 40 abgelöst. Diese Maske stellte nun keine Gummihaube mehr dar, sondern war mit Bändern an den Kopf gebunden. So konnte sie schneller und einfacher aufgesetzt werden.
Die Volksgasmasken waren zwar nicht so leistungsfähig wie die militärischen, dafür kostengünstiger in der Herstellung und einfacher in der Anwendung. Sie boten bis zu zwanzig Minuten Schutz – gegen Phosgen, ein Lungenkampfstoff, der die Lunge durch die Bildung von Salzsäure verätzt, nur fünf Minuten. Bis Kriegsende wurden etwa 45 Millionen Volksgasmasken hergestellt.
„Pflege deine Volksgasmaske noch besser als deine Kleidung, denn sie soll dir gegebenenfalls das Leben retten!“4
Die Gebrauchsanweisung für die Volksgasmaske VM 40
Transkription Gebrauchsanweisung – Seite 1:
„VM 40
Die deutsche Volksgasmaske
schützt gegen sämtliche chemischen Kampfstoffe (schützt nicht gegen Leuchtgas und Kohlenoxyd)
Gebrauchsanweisung
Aufgestellt vom Reichluftfahrtministerium L.In. 13“
Transkription Gebrauchsanweisung – Seite 2:
„Beschreibung. Die Volksgasmaske VM 40 besteht aus:
1. VM-Maskenkörper
2. VM-Filtereinsatz
Der VM-Maskenkörper besteht aus:
a) Gummistück, bestehend aus Gesichtsteil und Rahmenteil
b) A-Ventil (Ausatemventil)
c) zwei Augenfenstern mit je 1 Klarscheibe und je 1 Sprengring
d) Anschlußstück mit Dichtring, E-Ventilplättchen (Einatemventil) und Saugring
e) verstellbaren Kopfbändern, bestehend aus Scheitelband, Schläfenband und Querband und zwei Schiebeschnallen.
Der VM-Filtereinsatz besteht aus:
a) Filtertopf mit Gewindeanschluß
b) Filtermasse.
Die Volksgasmaske VM 40 wird in vier Größen hergestellt, und zwar in der
Größe „M-Ue“ (Uebergröße)
Größe „M“ (Männergröße)
Größe „F“ (Frauengröße)
Größe „K“ (Kindergröße)
Die Größenbezeichnung M-Ue, M, F oder K befindet sich am Anschlußstück.
Maskenkörper und Filtereinsatz werden während der Lagerung im VM-Karton aufbewahrt.
Der VM-Karton enthält:
a) Einlage mit Spannteil b) Ventilhülse c) Maskenstütze.
Verpassen. Sorgfältige Auswahl der Maskengröße (M-Ue, M, F, K) und Einstellung der Kopfbänder sichern gasdichten Sitz und bequemes Tragen der VM. Guter Sitz: Oberer Maskenrand verläuft über Stirnmitte, Augenbrauen werden nicht verdeckt; unterer Maskenteil umschließt ohne Falten- oder Beutelbildung das Kinn. Lästiger Druck darf nirgends entstehen. Scheitelband kurz einstellen. Die richtige Lage des Schläfenbandes – über dem Hinterkopf – ist durch Einstellung des Querbandes erreichbar. Die überstehenden Enden der Kopfbänder sollen gleich lang sein und werden zweckmäßig festgenäht.
Fertigmachen. Einlage am Gewindeanschluß des VM-Filters aus dem VM-Karton herausnehmen, Ventilhülse abstreifen, Maskenkörper vorsichtig vom Spannteil abziehen (dabei Kopfbänder ergreifen und Spannteil etwas anheben), Filtereinsatz in das Anschlußstück des Maskenkörpers einschrauben und Einlage in den VM-Karton zurücklegen.“
Transkription Gebrauchsanweisung – Seite 3:
„Aufsetzen. Maskenkörper mit fest eingeschraubtem Filtereinsatz am Schläfenband mit beiden Händen erfassen (siehe Abbildung).
Kinn hineinstecken.
Kopfbänder über den Kopf ziehen.
Verdrehte Bänder oder umgelegten Rahmenteil (abtasten!) in Ordnung bringen.
Augenfenster müssen so vor den Augen liegen, daß sie gute Sicht gewähren, die Augenwimpern nicht berühren und keinen lästigen Druck ausüben. Ist Zurechtrücken notwendig, Ausatemventil nicht als Handgriff benutzen, sondern an Anschlußstück oder Augenfenstern ziehen. Brillenträger dürfen unter der VM 40 nur Brillen mit Bandgestell (Maskenbrille) tragen. Brillengläser leicht mit einem Klarsichtmittel (z.B. Brillenglassalbe, Seifenstift) einreiben.
Dichtprüfung. Bei ausgeschraubtem Filtereinsatz das mit der linken Hand umfaßte Anschlußstück durch den Handballen der rechten Hand verschließen und dann einatmen. Bei dichtem Sitz wird die Maske gegen das Gesicht gesaugt. Es darf nirgendwo einströmende Luft spürbar sein. Darauf achten, daß bei der Dichtprüfung der Vorderteil des Ausatemventils nicht berührt wird. Dichtprüfungen im Gasraum gemäß den hierfür ergehenden Weisungen durchführen.
Absetzen. Maske mit einer Hand am Anschlußstück erfassen, leicht nach unten und nach vorn ziehen und dann nach oben abheben.
Reinigen. Nach dem Absetzen Filtereinsatz und Maskenkörper auseinanderschrauben und mit einem reinen Lappen trocken wischen. Klarscheiben in der Maske belassen, aber beim Abwischen der Maske nicht berühren, da sie sonst blind werden. Den im Maskeninneren in der ringförmigen Vertiefung des Anschlußstückes liegenden Saugring entfernen, trocknen lassen und wieder einsetzen. Verschmutzte Masken nach Herausnehmen der Klarscheiben mit Wasser und Seife vorsichtig reinigen. Volksgasmaske erst wieder in den Aufbewahrungskarton zurücklegen, wenn sie an der Luft (nicht in Sonne und nicht am Ofen) nachgetrocknet ist.
Verpacken. VM-Filtereinsatz ausschrauben und in die Einlage einsetzen. Einlage so in den VM-Karton legen, daß das Spannteil sich über der Maskenstütze befindet. Maskenkörper mit aufgeschobener Ventilhülse auf das Spannteil ziehen und am Kinnteil und oberen Maskenrand glatt ziehen. Anschlußstück in die entsprechende Aussparung der Einlage drücken. Zum Schluß Kopfbänder durch Erfassen am Querband glatt legen.“
Transkription Gebrauchsanweisung – Seite 4:
„Pflege und Behandlung. Die Volksgasmaske vor Verletzungen (z.B. durch spitze Fingernägel) schützen. Kleine Löcher oder Risse im Rahmenteil wie Löcher im Fahrradschlauch kleben. Reichlich große Gummiflicken außen besonders sorgfältig aufkleben (Ränder fest andrücken!) Masken, die nicht selbst geklebt werden können oder die andere Beschädigungen zeigen, der zuständigen Dienststelle des Reichsluftschutzbundes vorlegen. Filtereinsätze vor Fall, Stoß, Schlag oder Wassereinwirkung sorgfältig bewahren. Verbeulte Filtereinsätze durch neue ersetzen.
Lagerung. Maske im VM-Karton lagern. Nur den mitgelieferten Karton benutzen. VM während der Lagerung vor Feuchtigkeit, Frost und Hitze (z.B. Ofennähe oder Sonnenbestrahlung) schützen. Günstigste Lagerverhältnisse im allgemeinen in Wohnräumen. VM nicht der Einwirkung von Mottenschutzmitteln aussetzen.
Auswechseln der Klarscheiben. Unbrauchbar gewordene Klarscheiben auswechseln. Dazu Sprengring entfernen und verbrauchte Klarscheibe herausnehmen. Augenscheibe säubern. Neue Klarscheibe am Außenrand fassen und so auf die Augenscheibe legen, daß der Aufdruck „Innenseite“ zu lesen ist. Dann Sprengring bis zum deutlichen Schnappen in die Fassung eindrücken.
Tragen in Bereitschaft. Eine starke Schnur (Gardinenschnur) oder ein Band zu einer Schlaufe zusammenknoten, die gerade so groß ist, daß sie leicht über den eingeschraubten VM-Filtereinsatz gezogen werden kann. Überstehende Enden der Schnur oder des Bandes zu einer weiteren Schlaufe so zusammenknoten, daß der Kopf hindurchgesteckt werden kann.
Tragtasche. Zum Mitführen der VM ist eine Tragtasche geeignet. Diese kann aus Stoffresten oder alten Kleidungsstücken selbst hergestellt werden (z.B. nach Ultra-Schnitt SK 600 vom Deutschen Verlag, Berlin SW 68). Beim Einlegen der VM in die Tragtasche ist darauf zu achten, daß das Ausatemventil nicht geknickt wird.
Pflege deine Volksgasmaske noch besser als deine Kleidung, denn sie soll dir gegebenenfalls das Leben retten!“
Transkription der Anleitung zum Verstellen der Kopfbänder:
„Bei der Volksgasmaske VM 40 mit Kopfbändern aus Gummi zu beachten!
Zum Verstellen der Kopfbänder zuerst das Bandende durch die Schnalle etwas zurückschieben, dann die richtige Bandlänge einstellen, Bandende wieder festziehen, bei den Kopfbändern aus Gummi werden die Enden nicht festgenäht.“
Möchtest Du Dich erkenntlich zeigen? Hier hast Du die Möglichkeit dazu.
Fußnoten:
1 Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs [Haager Landkriegsordnung], 18. Oktober 1907, Artikel 23, online unter:
https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0201_haa_de.pdf (19. Juli 2020)
2 Protokoll über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege vom 17. Juni 1925, online unter:
https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19250020/index.html (19. Juli 2020)
3 Friedrich Katscher, In wenigen Minuten zum Tod, online unter:
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wissen/mensch/575462_In-wenigen-Minuten-zum-Tod.html (19. Juli 2020)
4 Aufforderung am Ende der Gebrauchsanweisung für die Volksgasmaske VM 40.
Links und Literatur:
Sarah Judith Hofmann, Der erste Einsatz von Giftgas als Kriegswaffe, online unter:
https://www.dw.com/de/der-erste-einsatz-von-giftgas-als-kriegswaffe/a-17053767 (19. Juli 2020)
Friedrich Katscher, Warum Hitler kein Giftgas einsetzte, online unter:
https://www.wienerzeitung.at/archiv/199494-Warum-Hitler-kein-Giftgas-einsetzte.html (19. Juli 2020)
Jakob Zenzmaier, Verbotene Kriegsmittel: Dumdum-Geschosse und Giftgaseinsatz, online unter:
https://ww1.habsburger.net/de/kapitel/verbotene-kriegsmittel-dumdum-geschosse-und-giftgaseinsatz (19. Juli 2020)
Technisches Museum Wien, Deutsche Volksgasmaske mit Filter und Originalverpackung, um 1940 (Beschreibung der Maske im Depot), online unter:
https://www.technischesmuseum.at/objekt/deutsche-volksgasmaske-mit-filter-und-originalverpackung-um-1940 (19. Juli 2020)
Interne Links:
Mehr zu den Jahren von 1939 bis Kriegsende:
https://www.worteimdunkel.at/?page_id=1343