Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs lagen nicht nur Städte und Landschaften in Trümmern. Fast jede Familie hatte Verluste zu beklagen – Frauen vermissten ihre Männer und Mütter ihre Söhne, die im Krieg gefallen oder in Gefangenschaft geraten sind. Das Schicksal vieler anderer blieb ganz einfach unbekannt. Etwa 1,3 Millionen Österreicher kämpften in Wehrmacht und Waffen-SS. Etwa 247.000 von ihnen kehrten nicht zurück, 76.000 von ihnen gelten als dauernd vermisst. Hunderttausende gerieten in Gefangenschaft.
Insgesamt gingen elf Millionen Deutsche und Österreicher nach der Kapitulation der Wehrmacht in Kriegsgefangenschaft. Etwa zwei Drittel von ihnen standen unter westaliierter Kontrolle, das restliche Drittel befand sich zum größten Teil in sowjetischer Gefangenschaft.
Als der Krieg vorüber war, kehrten die Männer wieder heim. Manche schafften es, der Gefangenschaft zu entgehen und waren schon kurz nach Kriegsende wieder mit ihren Lieben vereint. Die meisten Gefangenen kamen innerhalb der ersten beiden Jahre bis 1947 frei. Bis 1949 wurden weitere zwei Millionen Deutsche und Österreicher in die Freiheit entlassen. Ab diesem Jahr gab es deutsche Kriegsgefangene nur noch in sowjetischen Lagern. Es handelte sich dabei um etwa 30.000 Mann. Erst am 25. Juli 1955 kam der letzte Transport österreichischer Heimkehrer am Bahnhof Wiener Neustadt an.
Was erwartete die Männer bei ihrer Rückkehr?
Viele der Soldaten waren mit Ausnahme von Urlauben jahrelang nicht zuhause gewesen. Ihre Frauen mussten sich in dieser Zeit selbstständig versorgen und für ihr Leben und gegebenenfalls das der Kinder sorgen. Wollte der Mann nun wieder seine Stellung als Familienoberhaupt einnehmen, so stieß er auf das Problem, dass seine Frau ihn in dieser Funktion eigentlich nicht mehr brauchte. Schließlich hatte sie in den zurückliegenden Jahren gelernt, selbstständig zu denken und zu handeln. Die damals vorherrschende patriarchale Gesellschaftsstruktur war in den Jahren der Abwesenheit des Ehemannes ohne sein Wissen aufgegeben worden.
Doch auch im Beruf waren Frauen gezwungen, die Funktionen zu erfüllen, die bisher in der Hand des Mannes gelegen waren. Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, in Produktionsbetrieben beziehungsweise der Industrie waren nun von Frauen besetzt, die die Rolle ihrer Männer eingenommen hatten, weil ihnen nichts anderes übriggeblieben war. Kehrten die Männer nun zurück, erhoben sie Anspruch auf diese Stellungen, was zu Konflikten führte. Die persönliche und soziale Struktur befand sich infolge der durch den Krieg erzwungenen Auflösung des Patriarchats in Unordnung.
Die Erfahrungen, die die Männer im Krieg und in der Gefangenschaft gesammelt hatten, waren unterschiedlich. Manche von ihnen waren jahrelang an der Front und erlebten Tod und Leiden hautnah. Andere wiederum ließen es sich in Posten der Militärverwaltung in Frankreich gut gehen. Während die einen in sibirischen Lagern körperlich und seelisch geschunden wurden, kamen die anderen aus der guten Behandlung zurück, die sie in amerikanischen Lagern erfahren durften.
Je schlimmer die Erlebnisse waren, umso nachhaltiger haben sie den Charakter verändert. Diejenigen, die die fürchterlichsten Schrecken und Misshandlungen erfahren haben, kehrten aus Krieg oder Gefangenschaft meist mit einer Idealvorstellung ihres zukünftigen Alltags nach Hause zurück. Sie sehnten sich nach einem warmen Bett, einer liebevollen Familie und gutem Essen. Die Wahrheit sah jedoch fast immer anders aus. Besonders diejenigen, die in eine Stadt zurückkehrten, waren geschockt vom Grad der Zerstörung. Das Heim, nach dem sie sich sehnten, war zerstört und die Familie war nicht selten durch den Bombenkrieg zerrüttet und dezimiert worden.
Viele Frauen hatten von ihren Männern über Jahre hinweg nichts gehört – keine Post, keine Todesmeldung. Für sie stellte sich die Frage, wie lange sie auf ihn warten sollten. Es ist nicht verwunderlich, dass viele den Glauben an die Rückkehr ihres Mannes verloren und auch aus Gründen des seelischen Selbstschutzes mit ihm abschlossen. Sie wollten nicht lange Jahre in der Hoffnung leben, ihr Mann würde irgendwann zurückkehren, um doch nur enttäuscht und verbittert älter zu werden. So öffneten sie sich neuen Beziehungen und suchten neues Glück.
Stand dann plötzlich nach Jahren der Gefangenschaft der Ehemann vor der Tür, um zu seiner Frau und Familie zurückzukehren, so sah er sich mit einer neuen Situation konfrontiert, die nicht selten zu Extremreaktionen führte. Hielt sich der Mann in schweren Zeiten durch den Gedanken an seine Familie aufrecht, so brach er in solchen Situationen zusammen – Berichte von Selbstmorden sind überliefert.
Selbst wenn der Mann zu einer Frau zurückkehrte, die auf ihn gewartet hatte, musste das noch kein Happy End bedeuten. Die lange Abwesenheit, der psychische Druck in Krieg und/oder Gefangenschaft, die Entbehrungen, das Leid und die Angst veränderten sowohl Mann als auch Frau, was dazu führte, dass sich im Moment der Rückkehr zwei Fremde gegenüberstanden, die sich auseinandergelebt hatten.
Hoffte die Frau auf einen Mann, der ihr ab nun wieder im täglichen Leben helfen konnte und mit dem sie ihre Zukunft verbringen wollte, so war der Heimkehrer oft nicht mehr in der Lage oder willens, diese Vorstellung zu erfüllen. Er hatte nicht mehr die Energie und den Wunsch, als Oberhaupt eine Familie zu führen oder als Partner Gemeinsamkeit aufzubauen.
Das gesellschaftliche Trauma entstand im Zuge und im Anschluss an die Rückkehr der Männer – sie schwiegen über das Erlebte. Wenn überhaupt, so wurde die Frage nach der persönlichen Schuld im Kriege nur im kleinsten Kreis in stillen Momenten gestellt, auch von jenen, die sich keiner Verbrechen schuldig gemacht haben. Gesamtgesellschaftlich blieb das Thema der eigenen Verantwortung jedoch ein Tabu. Die seelische Aufarbeitung dieser Kriegs- und Gefangenschaftsjahre hätte den Menschen geholfen, zu sich selbst zurückzufinden und den Druck von ihrer Seele zu nehmen.
Die Seelen der Heimkehrer
Viele Männer, die Krieg und Gefangenschaft erlebten, wurden nach einiger Zeit von ihren Familien dazu bewogen, psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Grund dafür war meist auffälliges Verhalten wie völlige Zurückgezogenheit, Verschlossenheit, Ängstlichkeit, Nervosität, Gereiztheit oder Misstrauen. Zum Leidwesen der Betroffenen erkannte die damalige Lehrmeinung keinen Zusammenhang zwischen den Erlebnissen der Männer mit ihrem eigenartigen Verhalten. Man war im Gegenteil der Meinung, die Psyche sei unbegrenzt belastbar und würde durch Krieg, Schreckenserlebnisse und Misshandlung keinen Schaden nehmen.
Die Traumata der ehemaligen Soldaten waren vielfältig: Viele hatten dem Tod ins Auge geblickt, waren aber mit dem Leben davongekommen. Die Berührung mit sowohl dem eigenen als auch dem massenhaften gewaltsamen Sterben anderer ließ sie auch Jahre nach dem Erlebten nicht zur Ruhe kommen.
Svenja Goltermann beschreibt in ihrem Artikel „Kriegsheimkehrer in der west-deutschen Gesellschaft“ einen Fall:
„Drei Jahre nach Kriegsende – der Einsatz des Soldaten an der Ostfront lag bereits über fünf Jahre zurück – hatte es begonnen. Er fragte: ‚Sind die Russen schon da?‘ Rolf S. fühlte sich, wie seine Eltern richtig beobachteten, verfolgt. Er müsse für seine Angehörigen kämpfen, habe er wiederholt gesagt, und einmal sogar geschrien: ‚Gebt uns Eier, dann können wir für Euch kämpfen.‘ Eine gewaltige Angst um die Angehörigen hatte ihn ergriffen. Oft habe er davon gesprochen, ‚dass er sich aufhängen müsste, dass seine Angehörigen nicht mitleiden müssten‘. Wiederholt hörten die Eltern ihren Sohn sagen: ‚Ich muss kämpfen, ich muss kämpfen.‘ In anderen Momenten wiederum beobachteten sie, wie Geräusche vorbeifahrender Züge oder Autos ihn hochschrecken ließen. Rolf S. ‚fuhr (dann) in die Höhe und blickte immer zum Fenster hinaus‘. Er hatte die Befürchtung, erklärte er ihnen, ‚dass ihn die Russen abholten‘.“1
Viele wurden von den Vorkommnissen geplagt, deren Zeugen sie wurden oder von denen sie Kenntnis erlangten, vor allem wenn es um Verbrechen am östlichen Kriegsschauplatz ging. Das Wissen um diese Verbrechen, kombiniert mit der Angst deswegen von den Russen abgeholt zu werden, ließ einige dieser Männer aus eigenem Antrieb zu den Besatzungsmächten laufen, um dort ihre Aussage zu machen. Stets gingen sie in solchen Fällen zu den Büros der Westalliierten, nie zu dem der Sowjetunion. Die allgegenwärtige Präsenz der Besatzungssoldaten sorgte für das Entstehen der Bilder im Kopf des Betroffenen, die ihm vorgaukelten, sie würden ihn verfolgen und eines Tages mitnehmen.
Bei jenen deutschen Soldaten, die sich in einem Entnazifizierungsverfahren befanden, kam zu diesen psychischen Belastungen – auch wenn sie nur Mitläufer waren – existenzielle Angst hinzu. Bis das Verfahren abgeschlossen war, unterlagen sie einem Beschäftigungsverbot, was zu Einkommenseinbußen und sozialem Abstieg führte.
Andere Männer wiederum wurden Opfer der Ängste, die sich in ihrem Geist verselbstständigt hatten. Sie befürchteten – trotzdem sie keine persönliche Schuld auf sich geladen hatten – generell für die Verbrechen des Nationalsozialismus bestraft zu werden.
Svenja Goltermann schreibt:
„Vor allem ein Ereignis aus dem Krieg hing ihm nach: seine eigene Flucht, als die Russen ‚im Anmarsch‘ waren. Todesangst hatte ihn befallen. Doch es war nicht nur die Nähe des eigenen Todes, die ihm noch immer vor Augen stand. Denn er hatte damals andere über seine eigene Panik hinweggetäuscht und lauthals zu Durchhaltevermögen und Standhaftigkeit aufgefordert. Es waren die Gesichter der anderen Menschen, die er zurückgelassen hatte, und von denen er annehmen musste, dass dies für viele den Tod bedeutet hatte, die ihn nun in seiner Erinnerung quälten.“2
Möchtest Du Dich erkenntlich zeigen? Hier hast Du die Möglichkeit dazu.
Fußnoten:
1+2 Svenja Goltermann, Kriegsheimkehrer in der west-deutschen Gesellschaft, online unter:
https://www.bpb.de/apuz/31773/kriegsheimkehrer-in-der-west-deutschen-gesellschaft?p=all (26. Juli 2020)
Links und Literatur:
Svenja Goltermann, Kriegsheimkehrer in der west-deutschen Gesellschaft, online unter:
https://www.bpb.de/apuz/31773/kriegsheimkehrer-in-der-west-deutschen-gesellschaft?p=all (26. Juli 2020)
Florian Huber, Hinter den Türen warten die Gespenster. Das deutsche Familiendrama der Nachkriegszeit (Berlin 2017), online unter:
https://books.google.at/books?id=VxkxDgAAQBAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_atb#v=onepage&q&f=false (26. Juli 2020)
Kriegsopfer, AEIOU, in: Austria-Forum, das Wissensnetz, online unter:
https://austria-forum.org/af/AEIOU/Kriegsopfer (26. Juli 2020)
Artikel „Hessens kleine Nazis“, Archiv „Die Zeit“, Ausgabe Nr. 31/1947 vom 31. Juli 1947, online unter:
https://www.zeit.de/1947/31/hessens-kleine-nazis (26. Juli 2020)
Audio- und Video-Dateien zum Thema in der Österreichischen Mediathek:
Österreichische Mediathek, Antonia Bruha, Heimkehr. Lebt die Familie noch? Steht das Haus noch?, online unter:
https://www.mediathek.at/atom/1A244FF4-2DD-00350-00000698-1A237035 (26. Juli 2020)
Österreichische Mediathek, Gerhard Jagschitz, Gerhard Jagschitz zu Heimkehrern, online unter:
https://www.mediathek.at/atom/15B3E6BA-294-000B0-00000D78-15B31147 (26. Juli 2020)
Österreichische Mediathek, Hermann Lifka, Veränderte Heimkehrer. Erinnerungen von Hermann Lifka, online unter:
https://www.mediathek.at/atom/15B505BF-327-0007E-000010C0-15B462C9 (26. Juli 2020)
Österreichische Mediathek, Maria Stadler, Frauen waren auf sich gestellt. Erinnerungen von Maria Stadler, online unter:
https://www.mediathek.at/atom/15B4F874-340-0003D-000010C0-15B462C9 (26. Juli 2020)
Interne Links:
Mehr zu den Jahren von 1939 bis Kriegsende:
https://www.worteimdunkel.at/?page_id=1343
Mehr zu den Jahren der Besatzungszeit:
https://www.worteimdunkel.at/?page_id=459
Mehr zu den psychischen Nachwirkungen des Bombenkrieges:
https://www.worteimdunkel.at/?p=3986